Prof. Dr. Valentin Merkelbach

Brauchen öffentliche Schulen die privaten und brauchen Eltern sie für ihre Kinder?

April 2008

Im Januar 2008 gab es von der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag eine kleine Anfrage an die Bundesregierung in der Absicht, das Grundgesetz zu ändern, um Privatschulen besser fördern zu können. In Art.7, Abs.4 heißt es, dass private Schulen „als Ersatz für öffentliche Schulen” „der Genehmigung des Staates” bedürfen und den Landesgesetzen unterstehen. Die Genehmigung ist zu erteilen, „wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird”.

In ihrer Antwort auf die FDP-Anfrage sieht die Bundesregierung keine Notwendigkeit, das Grundgesetz zu ändern und verweist auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1992. In ihm wird bestätigt, dass der Staat dafür sorgen solle, dass Kinder verschiedener sozialer Schichten nicht durch Schulen getrennt werden. Privatschulen dürften deshalb nur eingerichtet werden, wenn spezielle pädagogische Konzepte oder religiöse Gründe vorlägen, die nicht durch eine öffentliche Schule abgedeckt würden. Das Gericht habe sich damals besorgt gezeigt, dass Privatschulen Kindern durch eine zu homogene Schülerschaft ein einseitiges Bild von der Gesellschaft vermitteln könnten. Die Bundesregierung ihrerseits befürchtet, dass Bundesländer noch unterschiedlicher über die Einrichtung von „freien Ersatzschulen” entscheiden würden als bisher schon, sollte der entsprechende Absatz im Grundgesetz gestrichen werden. (http://bildungsklick.de/pm/58086/regierung-gegen-grundgesetzaenderung)

„Reichenschule wider Willen”

Die FDP reagiert mit ihrer Anfrage auf ein seit den frühen 90er Jahren kontinuierlich gestiegenes Interesse von Eltern an Privatschulen, das durch die von PISA belegte Leistungsschwäche der öffentlichen Schule noch einmal verstärkt wurde. Die Zahl der Schulen in privater Trägerschaft stieg in den Jahren 1992 bis 2006 von 1991 auf 2867, die Zahl der Schüler/innen von 445609 auf 656187 (ZEIT, 18.10.07, S.73). Ende 2008 waren es bereits 892000, 2,2 Prozent mehr als im Vorjahr und insgesamt 7,3 Prozent aller Schüler/innen. Die am häufigsten besuchte Schulart ist das Gymnasium mit knapp einem Drittel aller Privatschüler/innen. Das sind etwa 10 Prozent aller Gymnasialschüler/innen. (http://bildungsklick.de 21.12.07)

Die FDP-Anfrage reagierte wohl auch auf das gestiegene Interesse von privaten Schulgründern, beim Genehmigungsverfahren von lästigen Vorgaben und Einwänden des Staates vorschont zu werden. Das deckt sich auch mit dem Interesse des bereits 1901 gegründeten Verbandes Deutscher Privatschulen. In einem Interview (ZEIT, 30.5.06, S.36) bezieht sich dessen Geschäftsführer, Christian Lucas, auch auf das Grundgesetz, in dem es kein „Staatsschul-Monopol” gibt und Privatschulen denselben öffentlichen Bildungsauftrag haben. Wirtschaftlich seien sie jedoch schlechter gestellt; denn eine private Schule müsse drei Jahre unterrichten, ehe der Staat sie bezuschusse und der dann gewährte Zuschuss decke nur 60 bis 70 Prozent der Gesamtkosten. Das habe zur Folge, dass die Eltern die Finanzlücke füllen müssen, was Lucas nicht für „sozialverträglich” hält. Private Schulen müssten „allen offen stehen, nicht nur denen, die es sich leisten können”. Schließlich sei eine „soziale Durchmischung” „die beste Voraussetzung für eine gute Pädagogik”.

Auf den Einwand der Interviewerin, das klinge nach Chancengleichheit für alle, was ja auch der Anspruch der staatlichen Schulen sei, die sich seit PISA am skandinavischen Modell orientierten, antwortet Lucas:

Man könnte auch sagen, die Skandinavier orientieren sich an deutschen Reformpädagogen. Die haben nämlich schon in den 20er-Jahren die Auffassung vertreten, dass es sinnvoll ist, gute und schlechte Schüler so lange wie möglich zusammen zu unterrichten.

Die Frage „Picken sich private Schulen die Rosinen heraus oder fangen sie Schüler auf, die den Abschluss an einer staatlichen Schule nicht schaffen?” bringt Lucas nach seinem sozialpädagogischen Höhenflug wieder auf den Boden der Privatschul-Realität zurück:

Schwer zu sagen. Privatschulen können nicht gezwungen werden, jedes Kind aufzunehmen. Viele haben Wartelisten. Wir können die Träger nur immer wieder daran erinnern, dass eine gesunde Mischung in ihrem eigenen Interesse liegt. Und dass es sich deshalb empfiehlt, einen gewissen Prozentsatz an Freiplätzen vorzuhalten.

Eine solche Empfehlung mag gut gemeint sein, bleibt aber bei den Finanzierungszwängen, denen Privatschulen unterliegen und den Interessen vieler Eltern an der Abgrenzung von Kindern aus bildungsfernen Milieus in hohem Maße unverbindlich und realitätsfern. Wenn Lucas abschließend seine Forderung wiederholt, private Schulen ausreichend finanziell zu unterstützen, damit „die Schulgelder niedrig gehalten werden” können und „die soziale Auslese” nicht „schon am ersten Schultag” beginne, so klingt das aus dem Munde eines Verbandfunktionärs der Privaten objektiv zynisch; denn aus welchen Motiven Privatschulen auch immer gegründet und von Eltern für ihre Kinder bevorzugt werden, - sie verstärken in jedem Falle die soziale Auslese, die alle drei bisherigen PISA-Studien neben der Leistungsschwäche als das wohl gravierendste Handicap bereits dem staatlichen Schulsystem attestieren.

Energischer noch als Christian Lucas plädiert Gabriele Renz in einem Beitrag „Reichenschule wider Willen” (Frankfurter Rundschau, 25.10.07, S.14) für eine bessere finanzielle Unterstützung der Privatschulen, hier speziell der Freien Waldorfschulen, die seit Jahren am allgemeinen Privatschulboom teilhaben. Um ihrem Kind einen Besuch dort zu ermöglichen, gingen immer mehr Eltern an ihre finanziellen Grenzen. Die Entscheidung für eine solche Schule habe immer weniger mit Pädagogik als mit der Frage zu tun, ob man sie sich leisten kann. Wenn jedoch die Schulwahl vom Geldbeutel der Eltern abhängig sei, verstoße das gegen das „Sonderungsverbot” des Grundgesetzes, wonach Privatschulen nur zulässig seien, wenn bei der Auswahl der Schüler eben nicht der Geldbeutel der Eltern entscheide. Im Schnitt aber verlangten Privatschulen 140 Euro im Monat – ohne Hort und Essen. Damit werde „die freie Schulwahl ad absurdum geführt”, zitiert Gabriele Renz Albrecht Hüttig, den Leiter einer Waldorfschule. Hüttig klagt deshalb gegen das Land Baden-Württemberg, das 1979 noch zu 90 Prozent Privatschulen bezuschusst habe, heute seien es kaum mehr als 60 bis 70 Prozent.

Gabriele Renz verweist in diesem Zusammenhang auf eine Studie des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft, die ergab, dass der Staat für ein Kind an einer öffentlichen Schule jährlich 4900 Euro zur Verfügung stellt, für eine Kind an einer Privatschule aber nur etwa 3800 Euro und dabei nicht weniger als 870 Millionen Euro im Jahr spare. Hüttig begründet darum seine Klage gegen das Land Baden-Württemberg, die er bis vor das Bundesverfassungsgericht treiben will, etwa so: Der Staat plant die Elternleistungen im „Finanzierungsmix” der Privatschulen ein und drängt sie so zum „Gesetzesbruch”. Denn um kostendeckend zu arbeiten, müssten die Privatschulen Kinder nach den finanziellen Möglichkeiten ihrer Eltern auswählen und es seien darum Migrantenkinder und Kinder aus sozial benachteiligten Familien nicht von ungefähr an Waldorfschulen nur schwach vertreten.

Das Dilemma des Staates als Genehmigungsbehörde

Sowohl der oberste Interessenvertreter der Privatschulen als auch die Freie Waldorfschule führen also heftig Klage darüber, dass der Staat durch unzureichende Finanzierung Privatschulen zwinge, soziale Auslese zu betreiben und damit im Grunde verfassungswidrig zu handeln. Der Staat seinerseits, der auf Länderebene immer großzügiger den Verfassungsvorbehalt bei der Genehmigung neuer Privatschulen auslegt, nimmt das sehenden, besser: lachenden Auges in Kauf; denn jede neue Privatschule kostet ihn in den meisten Ländern die ersten drei Jahre nichts und bleibt danach für die Dauer ihrer Existenz ein lukratives Sparschwein für den Fiskus. Und warum sollte den Staat ausgerechnet die soziale Auslese der Privaten beunruhigen, wenn ihm doch im eigenen Laden von jeder PISA-Studie erneut massive soziale Auslese bescheinigt wird?. Die Kinder aus sozial schwachen Familien, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, sind doch auch an schulgeldfreien Gymnasien nur schwach vertreten. Woher also sollte der Staat die Legitimation nehmen, ausgerechnet bei der Aufnahme in eine Privatschule auf Chancengleichheit und damit auf verfassungskonformem Verhalten zu bestehen?

Wer wollte es in dieser Situation Eltern verübeln, die es sich leisten können oder die auch bei schmalem Budget glauben, es sich leisten zu müssen, ihr Kind auf eine Privatschule zu schicken, wenn diese Schule auf Grund sozialer Auslese, ob nun gewollt oder finanziell erzwungen, durch „schwierige” Schüler/innen weitgehend unbelastet bleibt? Dazu werden Privatschulen oft, dank finanzkräftiger Fördervereine und Sponsoren, so ausgestattet, dass sie sich in kleineren Lerngruppen besser um das einzelne Kind kümmern können. Schließlich können Eltern als zahlende Kunden erwarten, ja fordern, dass sie von Investitionen in die Nachhilfe verschont bleiben, die ja längst mit Milliardenbeträgen einen ganz beträchtlichen Teil der Privatisierung von Bildung ausmachen.

Zu den Investitionen in private Nachhilfeinstitute kommt ja dann noch die unbezahlte Nachhilfe von Eltern und Angehörigen hinzu. Rechnet man diese privaten Bildungsausgaben mit den staatlichen zusammen, braucht , wie Christiane Bender resümiert, Deutschland „den Vergleich mit anderen europäischen Ländern” gar nicht mehr zu scheuen (Frankfurter Rundschau, 25.2.08, S.12). Nur kämen „diese Investitionen nicht allen Kindern zugute und die Kinder, die am meisten Förderung benötigen”, hätten gar nichts davon. D.h. die soziale Auslese, bei der Deutschland im internationalen Vergleich einsame Spitze ist, wird also nicht erst durch private Schulen, sondern bereits durch private Nachhilfe massiv verstärkt und so das Verfassungsgebot der Chancengleichheit immer mehr ad absurdum geführt. Nur die öffentliche Ganztangsschule kann für Christiane Bender dazu beitragen, dass „alle Kinder professionell und individuell” gefördert werden. Eine solche „breite Förderung aller Kinder” „käme auch den Kindern der Mittel- und Oberschicht zugute”. Alle profitierten, „wenn Schulen erlebbare Orte der Gemeinschaft von Lernenden und Lehrerenden werden und ein Raum für gemeinsame Erfahrungen unterschiedlicher Begabungen, Herkunftsmilieus und auch Ethnien”.

Neue Privatschulakteure

Der aktuelle Privatschulboom resultiert nicht nur aus dem gestiegenen Interesse an Waldorfschulen und Schulen in kirchlicher Trägerschaft, die zusammen weit mehr als 80 Prozent der Privatschulen ausmachen. Vor allem in Großstädten mit international tätigen Unternehmen entstehen seit einigen Jahren in rasch wachsender Zahl private Grundschulen und Gymnasien für Kinder der internationalen Belegschaften, darunter auch ein hoher Prozentsatz deutscher Kinder, deren Eltern bei diesen Schulen keine Probleme haben, dass ihre Kinder mit Kindern verschiedener Nationalitäten zusammen lernen und dabei in der Minderheit sind. Es sind bilinguale Schulen, die auf Namen hören wie Internationale Schule, Europa-Schule, Metropolitan-School oder Phorms-Schule (Phorms: ein Kunstwort aus Form + Metamorphosen). Allein in der Banken-Metropole Frankfurt wenden sich 2004 bereits unter 20 Privatschulen bereits sieben an ein internationales Publikum. (Frankfurter Rundschau, 25.5.04, S.33) Die neuen Schulen wollen dezidiert keine Paukschulen sein für die an anderen Schulen Gescheiterten, sogenannte Pressen, wie es sie seit Jahrzehnten in größeren Städten gibt. Sie versprechen vielmehr ihrem Publikum einen pädagogischen Standard, wie ihn die besten öffentlichen und privaten, nationalen und internationalen Schulen entwickelt haben.

Die Internationale Schule in Frankfurt

An der Internationalen Schule in Frankfurt mit einem monatlichen Schulgeld von 1200 Euro zahlen nach Auskunft des schottischen Direktors, Angus Slesser, mehr als 60 Prozent der Eltern das Schulgeld selber, bei den andern zahlt es das jeweilige Unternehmen. Auf die Frage, ob es denn in Frankfurt genügend Familien gibt, die das Schulgeld zahlen können, antwortet der Direktor:

Frankfurt ist eine internationale Stadt, sie ist ein Wirtschaftszentrum. Und den Menschen ist die Ausbildung ihrer Kinder eben wichtig. Für die ist die Frage, ob sie sich jedes Jahr einen Mercedes oder BMW kaufen oder das Geld in die Schulausbildung investieren. 35 Prozent unserer Kinder sind deutsche Kinder.

Und Angus Slessers Antwort auf die Frage, was denn seine Schule von staatlichen Gymnasien unterscheidet, ist:

Wir haben von acht Uhr morgens bis 18 Uhr abends geöffnet, sind also eine echte Ganztagsschule. Es gibt Betreuung vor und nach der Schule. Wir haben ein internationales Curriculum und bieten das internationale Baccalauréat als Abschluss an. 95 Prozent unserer Schüler machen das Abitur, in den staatlichen Schulen sind es 40.

Die Phorms-Schule

Unter den neuen Privatschulen für das gehobene internationale Publikum nimmt die Phorms-Schule eine Sonderstellung ein. Sie ist keine Einzelschulgründung, sondern eine Kette. Mit einer einzigen Schule, so der Phorms-Gründer und Vorstandsvorsitzende der Biotech-Firma „Epigenomics”, Alexander Olekt, sei wenig zu bewegen und sie bliebe am unteren Ende des Existenzminimums. Mit der Kette aber will er eine Marke am Markt etablieren und Phorms zum führenden Anbieter in Deutschland machen. So entstand die „Phorms-Management AG” mit 29 privaten Investoren (Wiesbadener Kurier, 7.2.08), die als erste in Deutschland mit Schulen Geld verdienen will. (K. Heinemann: Schulen für arrogante Schnösel oder für „Weltbürger mit Wurzeln”? In: Pädagogik 11/07, S.48-51).

Der Bildungsjournalist Karl-Heinz Heinemann hat sich bei Phorms umgesehen und berichtet aus einer Grundschule mit Gymnasium in Berlin Mitte. Individuelle Förderung wird nicht nur propagiert, sondern vom ersten Schultag an praktiziert, und das in Klassen mit max. 20 Schüler/innen und zwei Lehrpersonen, von denen die eine eine englische Muttersprachlerin für die Teile des Unterrichts sein muss, die wie Mathematik von Anfang an auf Englisch unterrichtet werden. Der Schulleiter, Richard Heglebroke, pflegt gute Kontakte zu den Staatsschulen in der Nachbarschaft und will von ihnen lernen. Es sei schließlich, zitiert ihn Heinemann, „nicht unser Geheimnis, wie man eine gute Schule macht”. Der Unterschied zur Staatsschule sei allerdings, dass die Eltern sicher sein könnten, „dass die Kinder guten Unterricht bekommen und jeden Morgen sagen: Ich möchte gern zur Schule gehen”. (S.49)

Die Schule geht von 9 bis 16 Uhr, auch für die Erstklässler. Man kann aber schon um 8 Uhr morgens sein Kind bringen und um 18 Ihr abholen bzw. bringen und abholen lassen vom Shuttle-Service, wenn man dafür extra bezahlt - zu einem Schulgeld, das nach Einkommen gestaffelt 280 bis 680 Euro beträgt. Seit 2007 besteht an der Schule für Eltern auch die Möglichkeit, nach der Phorms-Grundschule, die, wie in Berlin Gesetz, sechs Jahre dauert, ihr Kind am Phorms-Gymnasium anzumelden. Auf Heinemanns Frage an den Schulleiter, ob denn alle Kinder von der Grundschule aufs Gymnasium wechseln werden, will Heglebroke nicht ausschließen, dass man auch Kinder an benachbarte Realschulen abgeben werde. Hauptschule komme wohl gar nicht in Frage. Und im Übrigen ist dieser Schulleiter überzeugt, man könne eigentlich alle Kinder, die bei Phorms anfangen, auch zum Abitur führen. Dafür werde ja individuelle gefördert.

Fördern will der Schulleiter an seiner Schule neben einem naturwissenschaftlichen Schwerpunkt auch „unternehmerisches Denken, denn: Der Unternehmer habe „eine Perspektive, wie unsere Welt funktioniert”; er habe „eine Idee, aber auch das Selbstbewusstsein, sie zu realisieren”. Und das sollen seine Schüler/innen bei Phorms lernen und deshalb, so hofft Henglebroke, „werden sie einmal Führunsrollen in Deutschland übernehmen”. Für Bea Beste, die Vorstandsvorsitzende der Phorms-Management AG heißt unternehmerisches Denken ganz konkret, dass man endlich Schluss machen müsse, Geld verdienen und wirtschaftliches Denken zu verteufeln. Die Phorms-Schule will statt dessen Kinder ausbilden, „damit sie später einen Platz in der Wirtschaft finden und Geld verdienen”. (S.50)

Die „soziale Staffelung” von 280 bis 680 Euro soll im Übrigen nicht nur dem Grundgesetz Art.7, Abs.4 Genüge tun. Sie ist, wie Heinemann erfahren hat, dem Phorms-Gründer Olek noch aus einem anderen Grund sehr wichtig. Er selber bezahle als „Bestverdiener” sehr gerne seinen Schulgeldhöchstsatz dafür, dass seine „Kinder nicht nur mit Mitschülern aufwachsen, die sich primär durch das Einkommen ihrer Eltern auszeichnen”. (S.49)

Die Internationale Friedensschule Köln

Umgesehen hat sich Karl-Heinz Heinemann auch bei einer spektakulären Einzelschulgründung, der Internationalen Friedensschule Köln, die 2007 ihren Betrieb aufgenommen hat. Bauen ließ sie Norbert Amand, Chef einer Immobilienfirma, für sein neues Wohnviertel mit hochwertigen Einfamilienhäusern in Köln-Widdersdorf. Amand versteht das 35 Millionen teure Schulprojekt nicht als Sponsoring, sondern als „handfeste Investition in die Infrastruktur seines Bauvorhabens”; denn eine „renommierte Privatschule” hebe „die Qualität des Viertels vor allem für die gutbetuchten jungen Familien, die er in sein Viertel locken möchte”.(S.50)

Zum Programm der Friedensschule im Ganztagsbetrieb gehören frühe Mehrsprachigkeit und „interkultureller und interreligiöser Dialog” von Anfang an. Es werde „nicht stur gepaukt” erfährt Heinemann, „sondern viel musiziert”, „Projekte gemacht, Tiere gepflegt, das Essen zubereitet und die Klasse geputzt”. In den jahrgangsgemischten Klassen der Grundschule mit 22 Schüler/innen unterrichten jeweils zwei Lehrpersonen und in dem an die Grundschule anschließenden Gymnasium werden Lehrer/innen aus elf Nationen arbeiten. Von einer ehemaligen Gesamtschullehrerin erfährt Heinemann, sie wolle hier ihren Traum von Schule verwirklichen. Sie habe zwar gerne an der Gesamtschule gearbeitet, sei aber ständig an Grenzen gestoßen: unmotivierte Kolleginnen und Kollegen, die Schulleitung als Bremser, zu große Klassen und zu wenig Möglichkeiten, alle Kinder ausreichend zu fördern. (S.50)

Und wie finanziert man diesen Traum von Schule? Für jedes Kind zahlen die Eltern 12000 Euro im Jahr an einen Förderverein, weil es sonst möglicherweise Probleme mit dem „Sonderungsverbot” des Grundgesetzes geben könnte. Eine soziale Staffelung wie bei Phorms gibt es nicht. Später einmal soll es für 15 Prozent der Schüler/innen Stipendien geben. (S.50)

Eine private Gesamtschule in Wiesbaden

Unterstützt wird die Internationale Friedensschule von Enja Riegel, der ehemaligen Leiterin der durch ihre hervorragenden PISA-Ergebnisse bekannt gewordenen Wiesbadener Helene-Lange-Schule. Enja Riegel hat das Konzept der Friedensschule, insbesondere der Schwerpunkt „interkultureller und interreligiöser Dialog”, so beeindruckt, dass sie bereit war, im Direktorium der Schule mitzuarbeiten (Heinemann, S.50). Die ehemalige Leiterin einer Integrierten Gesamtschule will jedoch nicht nur ambitionierte Schulgründer und Schulen beraten. Sie hat über die Helene-Lange-Schule hinaus noch einen Traum von Schule, den sie am Wiesbadener Stadtrand, am Fuße des Taunus verwirklichen möchte.

Campus Klarenthal heißt ihr neues Projekt in der Trägerschaft des „Evangelischen Vereins für Innere Mission”. Auf dem über 60000 Quadratmeter großen Gelände einer ehemaligen Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau des Landes Hessen mit seltenen alten Bäumen, einem Rosengarten, Treibhäusern und vielen Gebäuden wird es ein „Haus des Lernens” geben von der Krippe und einem Kindergarten bis zur gymnasialen Oberstufe und einer pädagogischen Akademie für Erwachsene. Während Krippe und Kindergarten bereits ihren Betrieb aufgenommen haben und die Gesamtschule im Schuljahr 2008/09 mit zwei 5.Parallelklassen zu je 25 Schüler/innen startet, soll zwei Jahr später auch eine Grundschule ihre Tore öffnen.

In einem Interview (Wiesbadener Kurier, 20.10.07, S.5) umreißt Enja Riegel ihr pädagogisches Konzept:

Alle Kinder werden ihren Begabungen entsprechend gefördert bis an die Grenzen ihrer Leistungsmöglichkeit. Wir werden zwei Schwerpunkte haben. Zum einen die Natur. Wir werden Tiere halten, es gibt Gewächshäuser. Zum anderen die Kunst: Es wird in einem ersten Bauabschnitt ein großes Theater errichtet. Wir werden einen Theatermann einstellen und mit Künstlern zusammenarbeiten.

Auf die Frage, wie viel sie von der Helene-Lange-Schule übernehmen wird, antwortet die Schulgründerin:

Wir werden viel übernehmen, weil die Helene-Lange-Schule eine bewährte und sehr gute Schule ist. Auf der anderen Seite haben wir viel bessere Bedingungen. Wir haben andere Zeiten: Von morgens 7.30 Uhr bis 18 Uhr. Da kann man mehr machen, mit mehr Muße und dem Biorhythmus der Kinder angepasst. Wir haben eine andere Umgebung: Sowohl in den Schulgebäuden als auch im Gelände können wir ein riesiges Angebot machen, was die Helene-Lange-Schule gar nicht leisten kann. Auch werden wir ein anders Personalangebot haben: In jeder Klasse zwei Lehrer, die sich sowohl um Hochbegabte als auch um Kinder, die Schwierigkeiten haben, schnell und unbürokratisch kümmern können.

Das Schulgeld für diese „Reformpädagogik de luxe” wird einkommensabhängig etwa 400 bis 900 Euro betragen. Auf die provokante Frage des Interviewers, ob nicht ein Schulgeld in dieser Höhe die Idee der Gesamtschule ad absurdum führe, lautet Enja Riegels entschiedene Antwort:

Nein. Sonst würde ich das gar nicht machen. Ich bin mit Stiftern und Sponsoren im Gespräch, um einen Fonds zu gründen für Kinder, die gar keine Schulgeld zahlen können. Wir werden die Breite aller unterschiedlichen Kinder aufnehmen. Ich will zwei Beispiele nennen. Der Betreiber meines Zeitungskiosks ist ein Tunesier, der Besitzer meines Gemüseladens ist ein Türke. Beide haben Kinder im schulpflichtigen Alter und fragen mich seit zwei Jahren: Wann können wir unsere Kinder hinbringen? Wenn ich denen sage, das kostet aber Geld, sagen die: Wir sparen die Kosten für die Nachhilfe und die Nachmittagsbetreuung und können endlich guten Gewissens auch unseren Kinder eine sehr gute Schulbildung geben.

Einwände und Forderungen

Für den Entschluss, ihr Kind auf eine Privatschule zu schicken, haben Eltern unterschiedliche Motive, unter denen gewiss eines dominiert: Eltern erwarten, dass die Privatschule, für die sie ja Schulgeld zahlen, was manchen richtig schwer fällt, besser ist als die in Betracht kommende staatliche Schule, besser in dem Sinne, dass ihr Kind besser gefördert wird und auch in schwierigen Lern- und Entwicklungsphasen nicht zurückgelassen wird oder gar die Schule verlassen muss. Ein wichtiges Motiv wird auch sein, mit wem das Kind an der privaten Schule im Vergleich zu öffentlichen gemeinsam lernt; d.h. eine bewusste Abgrenzung zur sozial stärker heterogenen Schülerklientel an öffentlichen Schulen, auch an Gymnasien.

Zu der Frage: Sind denn die Privatschulen wirklich besser, weil im Sinn von PISA leistungsstärker, wird von denen, die den aktuellen Privatschulboom im Blick auf seine Auswirkungen auf die staatlichen Schulen kritisch sehen, auf eine Studie des Bildungsökonomen Manfred Weiß verwiesen. Er kommt in einer vergleichenden Untersuchung zu dem Ergebnis, dass das „Gros der Privatschulen in Deutschland, zumindest jener, die als ‚Ersatzschulen’ die ‚Bedingungen staatlicher Förderung erfüllen”, „mehr oder weniger ein Spiegelbild der staatlichen Schulen” sind (Frankfurter Rundschau, 20.6.06, S.43).

Die Studie vergleicht auf der Basis der erweiterten PISA 2000-Stichprobe die Leistungen 15-Jähriger an privaten und staatlichen Realschulen und Gymnasien bei „statistischen Zwillingen”. Das sind Jugendliche, „die sich in leistungsrelevanten Merkmalen gleichen: der sozialen Herkunft, der Intelligenz und dem Migrationshintergrund”. Ergebnis: „Die Leistungsunterschiede sind insgesamt gering und fallen in Mathematik und Naturwissenschaften eher zugunsten der staatlichen Schulen aus”. In einem Interview (ZEIT, 7.10.04) erläutert Weiß diesen Sachverhalt, auch mit Blick auf die in der Öffentlichkeit verbreitetet Botschaft des Instituts der Deutschen Wirtschaft, PISA 2000 habe gezeigt: „Privatschulen sind kaum zu toppen”. Auch für Weiß „liegen die Privatschulen in der Gesamtdarstellung deutlich über dem Durchschnitt”. Stelle man jedoch „einen fairen und wissenschaftlich sauberen Vergleich an”, müsse „man natürlich die soziale Zusammensetzung und die Herkunft der Schüler in Rechnung stellen”, was das Ergebnis erheblich verändere.

Es gibt gewiss neben der messbaren Leistung und der Abgrenzung von einer weniger ausgelesenen Schülerklientel an öffentlichen Schulen noch andere Gründe, warum Eltern sich für eine Privatschule entscheiden. Bei dem wachsenden Zustrom zu den Privaten stellt sich jedoch die Frage, welche Auswirkungen das längerfristig auf die staatlichen Schulen hat.

Mit dieser Frage ist kaum eine Institution intensiver befasst als die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und da insbesondere ihre für den Bereich Schule zuständige Stellvertretende Bundesvorsitzende, Marianne Demmer. Die GEW beobachte den Privatschulboom mit großer Sorge. Die Sortierung auf verschiedene Schularten begünstige ja schon „die höchst ungleiche Verteilung der Bildungschancen”. Das werde ein immer größerer Anteil an Privatschulen verschärfen, „ohne insgesamt zu besseren Schulleistungen zu führen”, was nationale und internationale Studien, PISA eingeschlossen, belegten. „Trotz frühester Verteilung auf unterschiedliche Schulformen” gingen in Deutschland bereits zehn Prozent auf private Gymnasien und acht Prozent auf private Realschulen. Offenbar reichten den Eltern dieser Kinder „die Selektionsmöglichkeiten des öffentlichen Schulsystems offenbar nicht aus”. Aus alldem folgt für Marianne Demmer der dringende Rat an die Politik, „endlich zu erkennen, dass ein Schulsystem, das Auslese als Instrument zur Problemlösung und Qualitätssteigerung anbietet, eine Spirale des Verteilens und Abstufens in Gang setzt”.

Wer den Privatschulanteil gering halten will, muss für zeitgemäße, gut ausgestattete öffentliche Schulen sorgen. Für Schulen, die Lern- sowie Lebensorte für die heranwachsende Generation sind, an denen dank gut ausgebildetem und motiviertem Personal individuelle Förderung konsequent verwirklicht werden kann. Wenn Eltern überzeugt sind, dass beides – Leistungsfähigkeit und Chancengleichheit – die Leitplanken für ein gutes öffentliches Schulwesen sind, werden sie nicht die Flucht in die vermeintlich besseren Privatschulen antreten. (Erziehung & Wissenschaft 1/08, S.16)

Wenn nun aber feststeht, dass zu viele Privatschulen die Probleme des öffentlichen Schulwesens verstärken, stellt sich für Marianne Demmer die heikle Frage, ob dann nicht der Staat seine Unterstützung für Privatschulen einstellen sollte. Einstellen wäre für sie zwar der falsche Weg, weil es unsinnig sei, „gut arbeitende Schulen in privater Trägerschaft auszutrocknen”. Aber der Staat, der Privatschulen teilweise bis zu 95 Prozent subventioniere, müsse „bei der Auswahl der Schüler Auflagen” machen, „die sicherstellen, dass die soziale Auslese nicht noch weiter verschärft und niemand diskriminiert wird” (PISA-Info der GEW, 8/06). Indertat muss in den Genehmigungsbehörden der Länder ernster geprüft werden, ob die Gründung einer Privatschule noch im Einklang steht mit dem Grundgesetz, mit Art.7, Abs.4, aber auch mit Art.3, Abs.3, wonach niemand „wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden” darf.

Gegenüber der These, die wachsende Zahl von Privatschulen könnten, weil sie besser seien als die öffentlichen Schulen, Reformdruck auf die öffentlichen erzeugen, verweist Marianne Demmer zum einen auf Studien wie die oben zitierte von Manfred Weiß, die diese These nicht bestätigen kann, zum andern aber auf die Tatsache, „dass viele öffentliche Schulen, die pädagogische Freiräume gewährt bekommen oder sich erkämpft haben, ausgezeichnete Ergebnisse erzielen und die Eltern begeistern”. Schulen wie die Helene-Lange Schule in Wiesbaden, die Bielefelder Laborschule oder die Montessori-Gesamtschule in Potsdam zeigten doch, „dass man keinen freien Träger braucht, um eine gute Schule zu machen, sondern vor allem die richtige Einstellung und entsprechende Mittel”. (PISA-Info der GEW, 8/06)

Dem widerspricht auch Enja Riegel nicht, was sie nicht davon abhalten kann, ihre private Schule zu gründen. Auch für sie gibt es ja „staatliche Schulen, die zeigen, dass man mit dem Geld, das der Staat zur Verfügung stellt, wunderbar Schule machen kann” und sie verweist auf die mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichneten Schulen, zu denen auch die Helene-Lange-Schule gehört. Es gibt die guten Vorbilder, es fehle aber „die Ermutigung von oben – vom Ministerium – diesen Weg zu gehen”. „Die guten Ideen und Konzepte, die in den Versuchsschulen entwickelt wurden”, verblieben dort und würden „nicht auf alle Schulen übertragen”. (Frankfurter Rundschau, 12.1.08, S.R3)

Keine Frage: Die reformpädagogisch orientierten staatlichen Schulen haben viel gelernt von den privaten Reformschulen, etwa den Landerziehungsheimen, von ihren Konzepten ganzheitlichen Lernens mit Kopf, Herz und Hand. Pädagogischer Standard für staatliche Schulen, die sich kollegial weiterentwickeln wollen, können diese z.T. luxuriös ausgestatteten Privatschulen allerdings kaum noch sein. Diesen Standard definieren staatliche Versuchsschulen und all die anderen Reformschulen, von denen die Rede war. Es sind Grundschulen und für alle Kinder offene Sekundarschulen, offen zum Teil auch schon für Kinder mit Behinderungen, - Schulen, die sich nicht nur durch lernbereite Kollegien entwickeln konnten, sondern auch durch engagierte Eltern, Eltern auch und gerade aus den Bildungsschichten, die sich bewusst für gemeinsames Lernen und gegen Auslese und Abgrenzung entschieden haben.

Es wäre an der Zeit, dass die Schulbehörden der Länder diese Schulen als ihre Vorzeigeschulen endlich wahrnehmen und für Reformen nutzen und dass sie die anderen Schulen ermuntern und angemessen dabei unterstützen, sich auch auf den Weg zu einer anderen Schul- und Lernkultur zu machen. Bund und Länder müssen gemeinsam die Sorge des Bundesverfassungsgerichts von 1992 endlich ernst nehmen, Privatschulen könnten „durch eine zu homogene Schülerschaft ein einseitiges Bild der Gesellschaft vermitteln”. Das allerdings macht ein Nachdenken über die grundlegende Frage erforderlich, wie lange der Staat an seinen eigenen öffentlichen Schulen an einem System festhalten will, das vom ersten Schultag an möglichst homogene Lerngruppen anstrebt. Dieser Homogenisierungsprozess wird zwar immer noch als leistungs- und begabungsgerecht ausgegeben, bewirkt in Wahrheit aber, wie wir nicht erst seit PISA wissen, in hohem Maße soziale Segregation.

Letzte Aktualisierung: 01.04.2008